Berlin stoppt Gründer aus EU-Beitrittsländern
Start-ups: Hauptstadt heißt Pioniere Osteuropas mit überbordender Bürokratie willkommen
Unternehmer aus Polen und anderen EU-Beitrittsländern würden gerne in Deutschland gründen. Die Politik lockt sie, hält die bürokratischen Hürden aber gleichzeitig hoch.
Berlin: „Drehscheibe des Ost-Westhandels!“ Oder: „Mittelpunkt im Dreieck Paris, London und Moskau!“ Gemessen an den Erwartungen der 90er Jahre steht die Stadt ein Jahr vor der EU-Osterweiterung mit leeren Händen da: Nur 2 % des deutschen Handels mit den Beitrittsländern läuft über Berlin. Und das, obwohl laut Senat „über 280 lokale Institutionen über Spezial-Know-how für Wirtschaftskontakte mit Mittel- und Osteuropa (MOE) verfügen“.
Die Misere hat verschiedene Gründe. Ein ganz gewichtiger ist sicher die schwierige Lage der lokalen Industrie. „Doch hat Berlin mit seiner selbstzufriedenen Haltung auch viel Terrain verspielt“, kritisiert Dr. Klaus-Heinrich Standke, EU-Berater der polnischen Regierung und Lehrbeauftragter an der FU Berlin. Bis heute gebe es kein systematisches Ost-West-Konzept – sondern viel Nebeneinander. Dagegen hätten die wirtschaftsstarken alten Länder längst strategische Partnerschaften entwickelt, die ihnen Jahr für Jahr mehr Marktanteile in den MOE-Ländern bescheren. Auch Wolfram O. Martinsen, MOE-Koordinator des regierenden Bürgermeisters, räumt ein, dass Berlin bisher nur die Absicht erklärt habe, ein führendes Ost-West-Kompetenzzentrum zu werden. Nach außen sei davon bisher tatsächlich nicht viel sichtbar.
Am Interesse aus Osteuropa scheitern die Bemühungen nicht. So stoßen die Workshops „Go West, Go Berlin!“ auf große Resonanz. Mit ihnen will die vom Senat teilfinanzierte Wirtschaftsförderung Berlin GmbH (WfB) Unternehmer aus Beitrittsländern nach Berlin locken. Allein in Polen gab es 600 Teilnehmer. Auch ein Businessplan-Wettbewerb der WfB für Firmen aus dem Osten hat regen Zulauf. „Letztes Jahr haben über 20 Unternehmen Konzepte eingereicht, mit denen sie den deutschen Markt erobern wollen“, so Projektleiterin Christina Hufeland.
Das große Interesse an ihren Aktivitäten und die wachsende Liquidität osteuropäischer Unternehmen veranlasst die WfB zur Einschätzung, dass sich die Zahl der Betriebe aus MOE- Staaten in Berlin bis 2010 verfünffachen könnte. Ein Szenario, dass der Senat laut seiner Europabeauftragten Monika Helbig durchaus begrüßt: „Die Stadt ist prädestiniert für Betriebe aus Beitrittsländern, die auf dem westeuropäischen Markt Fuß fassen wollen“.
Auch diverse Berliner Unternehmen sehen im Zuzug osteuropäischer Konkurrenten mehr Chancen als Gefahren, könnten doch potenzielle Kunden oder Kooperationspartner darunter sein. Deshalb stiften sie dem WfB-Businessplan-Wettbewerb regelmäßig eine Prämie, das sogenannte Berlin Business Welcome Package. Es enthält für drei Monate Büro und Wohnung in Berlin, dazu ein Handy und Tickets für den öffentlichen Verkehr sowie kostenlose Gründungs- und Rechtsberatungen. Mitinitiatorin des Schnupperpakets, das normalerweise 2300 " kostet, ist die Innovations-Zentrum Berlin Management GmbH. Sie beherbergt seit 1997 in Berlin-Adlershof die wichtigste Anlaufstelle für osteuropäische Gründer: das Ost-West-Kooperationszentrum (OWZ).
Hier hat auch die Poland Deutschland Consult ihren Sitz. Geschäftsführer Piotr Winiarski verzeichnet seit Monaten verstärkt Anfragen mittelständischer Betriebe aus Polen, die den Schritt über die Grenze wagen wollen. Dennoch stehen sie oft wie Gründer zweiter Klasse da. Vor allem die Ausländerbehörde behandele potenzielle Investoren aus dem Osten wie Bittsteller und stelle ihnen bürokratische Hürden in den Weg. So passiert es, dass Sachbearbeiter von Unternehmern eine Gewerbeanmeldung verlangen, um ihnen die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen – doch ein Gewerbe kann man nur mit Aufenthaltserlaubnis anmelden.
Auch ohne solche Probleme ist der Weg gen Westen steinig. Zunächst müssen Ost-Gründer im deutschen Konsulat ein Einreisevisum beantragen und schon dafür einen schlüssigen Businessplan und den Nachweis vorlegen, dass sie schuldenfrei sind. Das Visum gilt drei Monate, in denen die Gründer sich anmelden, Versicherungen abschließen und einen Standort anmieten müssen. Denn ohne Mietvertrag gibt es auf der Ausländerbehörde keine Aufenthaltserlaubnis. Keine nette Begrüßung, wenn man bedenkt, dass Polen ausländische Investoren mit Steuergeschenken, Sonderhandelszonen und wenig Bürokratie lockt.
Ein weiteres Problem ist die Schwierigkeit, an Kredite zu kommen. Was für deutsche Gründer schwer ist, ist für Osteuropäer derzeit unmöglich. Winiarski kann das kaum nachvollziehen. Angesichts der verheerenden Arbeitsmarktsituation müsse man Ost-Gründern doch echte Chancen einräumen. „Viele polnische Maschinenbauer, Werkstoffveredeler oder IT-Firmen würden gerne nach Berlin expandieren und hier Arbeitsplätze schaffen. Doch dafür muss man ihnen auch das Gefühl geben, dass sie erwünscht sind“.
PETER TRECHOW, VDI Nachrichren, 28.03.03